An den Vorsitzenden
der SPD-Bundestagsfraktion
Peter Struck
und an die Kolleginnen und Kollegen
in der SPD-Bundestagsfraktion
Berlin, den 14. November 2001
Lieber Peter Struck,
liebe Genossinnen und Genossen!
 

Mit Datum vom 18. September 2001 habe ich der Fraktionsführung geschrieben, dass ich dem Entschließungsantrag am 19. September 2001 mit Bedenken zustimme, einige der für mich gravierenden habe ich genannt; gleichzeitig habe ich mein NEIN zu militärischer Hilfe - wie bei den Militäreinsätzen im Kosovo und in Mazedonien -  mitgeteilt.
Am Montag, 12. November 2001, habe ich beim PL-Abend mit Bundeskanzler Gerhard Schröder meine Entscheidung gesagt - ebenso am Dienstag, 13. November 2001, in einem Gespräch mit Peter Struck die Gültigkeit des NEIN auch für eine Entscheidung in Verbindung mit der Vertrauensfrage.
Die Argumente der Kolleginnen und Kollegen in der Fraktionssitzung, in der Landesgruppensitzung und in vielen Gesprächen respektiere ich, selbstverständlich auch ihre Abwägung von Schwierigkeiten der Entscheidungsfindung und dem hohen Stellenwert der Weiterführung unserer sozialdemokratisch geführten Regierungspolitik, die in vielen Bereichen neue und gute Akzente gesetzt und Konzepte verwirklicht hat (ich nenne als Beispiele nur JUMP, unsere Behindertenpolitik oder den Bereich Ökologie).

Meine Gründe, Militäreinsätze herkömmlicher und erst recht weiterentwickelter Art abzulehnen, sind bekannt:
Militärische Mittel lösen Konflikte nicht, sondern sie verschärfen und vergrößern Elend, Hass und Solidarisierung auf der anderen Seite; dies befürchte ich in der jetzigen Situation bei den Einsätzen in Afghanistan besonders.
Die finanziellen Ressourcen, die für Militäreinsätze gebraucht werden, sind gewaltig; mit den von den USA intiierten und anderen Bündnispartnern unterstützten  Militärschlägen werden viele Unschuldige getroffen, und zivile Infrastruktur – soweit  vorhanden - wird zerstört. Das kann und werde ich nicht mittragen.

Außen- und Sicherheitspolitik war für mich als Sozialdemokratin in erster Linie immer Friedenspolitik; dies sehe ich durch den Einsatz militärischer Mittel, wie jetzt auch von der Bundesregierung vorgesehen, verletzt. Das wiegt für mich schwerer als das selbstverständliche Vertrauen in unsere bisherige sozialdemokratisch geführte Regierung, die ich in vielen Bereichen gern und intensiv mittrage.

Ich wünsche mir und uns allen, dass Pazifismus in der SPD, gerade auch bei vorhandenen Bündnispartnerschaften und der immer wichtiger werdenden internationalen Zusammenarbeit, noch einen Platz hat.

Für die gemeinsame Arbeit bedanke ich mich bei allen, denen Engagement und Zusammenarbeit für unsere sozialdemokratischen Ziele wichtig war und ist.
Mein Mandat werde ich im Interesse der Menschen in meinem Wahlkreis bis zum Ende der Legislaturperiode wahrnehmen; wenn dies nicht innerhalb unserer SPD-Fraktion möglich ist, dann - das würde ich sehr bedauern - außerhalb unserer Fraktion. Einer anderen Fraktion werde ich mit Sicherheit nicht beitreten.
 

Mit freundlichen Grüßen
 
 
 

Christa Lörcher, MdB