Rede vor dem Europarat zum Thema Kosovo am
                  23.9.99 in Straßburg
 

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Über die
Situation im Kosovo sind in diesem Hause mehrfach aktuelle Debatten geführt
worden, vor dem Krieg, während des Krieges und nach dem Krieg. Mein Dank
gilt nicht nur den Berichterstattern, sondern all denjenigen, die in dieser
Region Hilfe leisten, unter schwierigen Umständen und in einer Region, wo
die Konflikte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen besonders
tiefe Wurzeln haben und wo die Spuren gegenseitiger Verletzungen noch
lange spürbar sein werden.

Ich freue mich, daß der Bericht des Kollegen Iwinski als Schwerpunkt die
humanitäre Situation der betroffenen Menschen beleuchtet und Konse-
quenzen zieht, sowohl politische und wie auch praktische. Der Krieg hat
unermeßliche Schäden hinterlassen: 79 Tage Bombardierung, 32000 Luft-
angriffe; manche Quellen geben sogar eine noch größere Zahl an. Rund
200 Fabriken, 190 Schulen, 50 Krankenhäuser, 50 Brücken, fünf Zivil-
flughäfen, ungezählte Wohnhäuser und landwirtschaftliche Betriebe sind
zerstört worden. Die Verletzung und Zerstörung von Menschen läßt sich
nicht aufzählen.

Über die finanzielle Seite von 79 Tagen Bombardement wissen wir wenig
Konkretes, erst recht über die gesamten Kosten des militärischen Einsätze.
Aber mit Sicherheit übersteigen diese Summen die Ressourcen um ein Viel-
faches, die jetzt für den Wiederaufbau zur Verfügung stehen. Der Winter
kommt, und trotz aller Anstrengungen vieler Hilfsorganisationen ist die
Situation nach wie vor äußerst kritisch.

Wer leidet unter solch einem Krieg und seinen Folgen besonders? Es sind
Kinder, alte Menschen, Kranke und Behinderte, diejenigen in unserer
Gesellschaft, die besonders verwundbar sind und die besonderer Fürsorge
und Hilfe bedürfen.

Einige Gedanken zur Situation von Kindern im Krieg, auf der Flucht oder in
einem anderen Land. Ich möchte kurz zwei Aspekte beleuchten:

Wie geht es den Flüchtlingskindern in unserem eigenen Land? Haben sie wirk-
lich die gleichen Rechte und Chancen? Haben sie die nötige Gesundheits-
versorgung, eine gute Bildung? Haben sie die Möglichkeit, das, was sie erlebt
haben, auch zu verarbeiten?

Der andere Aspekt: Schwierig ist es für sie auch, wenn sie in ihr Land
zurückkommen, freiwillig oder auch nicht freiwillig. Sie finden ein fremdes
Land. Sie finden ihre Freunde nicht mehr, vielleicht auch Vater, Mutter und
Geschwister nicht. Welche Perspektive haben sie?

Die UNICEF hat ein Buch über Kinder, ihre Geschichten und ihre Bilder vom
Krieg im ehemaligen Jugoslawien veröffentlicht; es heißt "Ich träume vom
Frieden". Ich möchte den Bericht eines elfjährigen Kindes zitieren:

                "Ich spreche mit Dir, den sie vom Spielplatz und von der
                Straße vertrieben haben, aus dem Haus, wo Du gewohnt
                hast, und aus Deinem Kinderzimmer.

                Wie Du leidest, leide ich auch, und auch meine Nächte
                sind schlaflos. [...] Ich habe meine Spiele weggeschlossen
                [...] und ich habe mein Lächeln weggeschlossen.

                Werden wir lange warten müssen? [...] Ich fürchte für
                Dich, daß, während wir warten, Dein Geburtsort bald
                vergessen sein wird. Deshalb, mein Freund, sei willkommen
                in meinem Haus. Wir werden das Meer Teilen und die
                Schönheit eines Sommerabends. Wir werden den Gesang
                der Vögel genießen und unsere Hausaufgaben zusammen
                machen."

Nemanja, 11 Jahre alt.

Kinder haben Erwartungen, sie haben Hoffnungen. Sie wollen spielen, lernen,
in einer friedlichen Welt aufwachsen. Lassen Sie uns diese Hoffnungen nicht
enttäuschen und Perspektiven aufbauen.

Ich danke Ihnen. (Beifall)

Sitzungsperiode 1999 - (4.Teil) - 30.Sitzung / AS(1999) CR30



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